Feria in Sevilla

Feria

Eine Woche nach Ostern beginnt in Andalusien das größte Fest Spaniens mit schönen Frauen, Freude, Musik, Gesang, Tanz, Speise und Trank, Gastfreundschaft in den casetas, Pferde-Paraden, Jahrmarkt. Ein Rausch für alle Sinne! Wein fließt in Strömen. Täglich kommen bis zu eine Million Besucher.

Wer Sevilla nicht gesehen hat, hat kein Wunder gesehen!" und "Sevilla, qué maravilla!" sagt man seit 1503. Damals begann das Handelsmonopol der Stadt für sämtliche Schätze aus dem neu entdeckten Amerika. Die mit dem Gold aus der Neuen Welt beladenen Galeeren segelten den Guadalquivir hinauf, den "großen Fluß" Wadi-al-Kebir der Mauren. Im Flußhafen, dem bedeutendsten des damaligen Europa, mußten alle Einfuhren verzollt werden. Prächtige Bauten entstanden im "barocken und narzistischen Sevilla". Doch im 18. Jahrhundert versandete der Fluß, die liberalen Bourbonen hoben das Handelsmonopol auf und der Abstieg begann.

 Eine neue Attraktion mußte her. Daher organisierten ein Baske und ein Katalane 1847 einen großen Getreide- und Viehmarkt, der von nun an jährlich stattfand. Die weitere Entwicklung war wie so vieles ein Ergebnis weiblicher Logik. Die daheimgebliebenen Ehefrauen der Händler wollten ihre Männer nicht den lauschigen Tavernen, handlesenden Zigeunerinnen, verführerischen Damen leichten Lebenswandels und anderen das häusliche Glück gefährdenden Messe-Versuchungen allein aussetzen. Vielleicht langweilten sie sich auch ein wenig in ihren Häusern in Santa Cruz. Und so schufen sie sich und ihren Familien kleine Markt-Residenzen in Form von luftigen runden Zelten mit spitzen Dächern. Dort fand neben dem geschäftlichen auch ein gesellschaftlicher Teil der Verkaufsmesse statt.

 Den Markt gibt es schon lange nicht mehr. Aber wenn mit Ablauf der Karwoche die Statuen von Christus, Maria, die schweren Pasos, Tragebühnen mit Passionsszenen nach ihren nächtlichen Runden durch die engen Gassen in die Kirchen zurückkehren, ihre Träger ermattet entlassen werden, die nazarenos, Mitglieder der religiösen Bruderschaften, ihre an Klu-Klux-Klan-Kluften erinnernden Kapuzenmäntel bis zum nächsten Jahr einmotten, laufen schon die Vorbereitungen für das größte und schönste Fest Spaniens auf vollen Touren. Eine Woche nach Ostern beginnt dann die Feria de Avril. Auf dem Festgelände von einem Quadratkilometer werden über 1.400 "casetas", Zelte von 4x8 m oder mehr aufgebaut. Um Platz zu sparen, sind sie heute nicht mehr rund sondern viereckig. Aber sie haben immer noch ein spitzes Dach mit einer Malerei, einem Namen, einer Nummer. Innen sind sie liebevoll als Sommerhaus dekoriert mit weißen Gardinen, Spiegeln, schönen Bildern, Blumen, edlen Lampen, kleinen Tischen und vor allem sehr vielen Stühlen. Denn es wird hier voll während der Feria. Die Mieter: große Firmen, Weingüter, Freundeskreise von einem Dutzend Familien und mehr empfangen ihre Bekannten, laden sie zum Trinken, Essen, Plaudern, Singen und Tanzen ein. Besonders zum Tanzen - bis zu 18 Stunden am Tag.

 Musikkapellen spielen moderne Ohrwürmer, die viele mitsingen, aber meist Rumbas, Bulerias, Pasodobles und vor allem Sevillanas. Die Sevillana ist ein bezaubernder, aber recht komplizierter Tanz in vier Folgen, jeweils mit dem gleichen dramatischen Finale: Fuß aufgestampft, Kopf theatralisch zurückgeworfen, ein Arm gen Himmel gereckt. Olé! Die Partner strahlen sich an, tanzen aber getrennt in malerischen Schwüngen, Pirouetten, Kreisen und Passagen, mit ausladenden, graziösen Armbewegungen, im Allgemeinen ohne sich dabei zu berühren. Der Tanz ist überaus sensuell - die Frau lockt den Mann. "Ein wunderbares, narzistisches Ballett", nannte es Ortega y Gasset zutreffend. Manchmal ist die Tanzfläche durch einen Vorhang abgeteilt, aber meist sind Bar und Küche in einem abgetrennten hinteren Teil der caseta, und im vorderen Teil wird zwischen den Tischen und Stühlen getanzt. Das macht mehr Spaß - schließlich will man ja sehen und gesehen werden!

 Die Heerscharen der Besucher kommen meist zu Fuß, per Zug, Bus oder Auto, viele auch ein- bis sechsspännig in Kutschen oder hoch zu Roß. Dabei sitzten die caballeros im Alter von 6 bis 60 im Sattel, die Kinder davor, Frau oder Brautgeliebte dahinter - der Rock ist malerisch über die Kruppe des Pferdes drapiert. Unter ihnen sind die schönsten Frauen von halb Spanien und ganz Andalusien. Der Aufmarsch der bis zu 3.000 Pferde und 700 Kutschen täglich ist ein prächtiges Bild. Die Herren tragen oft noch Torerohut, kurze Jacke, rote Schärpe, lederne Gaucho-Hosen über den Stiefeln, die Angehörigen des früher einmal schwach genannten Geschlechts meist leuchtende Flamenco-Kleider mit vielen Rüschen unterhalb der Hüften. Dazu gehört der Mantón, ein großer bestickter Seidenschal, dessen Fransen rätselhafterweise dazu neigen, sich in Knöpfen von vorbeigehenden Herren zu verfangen. Man braucht dann kein Taschentuch zu "verlieren".

 Romantischerweise wispern viele Herren auf der Straße vor ihnen schreitenden hübschen Frauen immer noch piropos zu. Das sind Flüsterkomplimente wie "Olé, guapa - Hübsche!", "Du bewegst Dich gleitender als die Wellen!", "Du trägst das Parfum Spaniens mit Dir!" Die Damen tun so, als ob sie nichts hörten, freuen sich im Innern aber königlich. Da sage noch einer, die heutige Jugend sei nicht romantisch!

 Das Fest beginnt montags um Glockenschlag Mitternacht, wenn die 30.000 elektrischen Birnen der weißen und orangenfarbenen Lampions des Festgeländes alle gleichzeitig aufleuchten, einschließlich der Lampen der portada, des hohen, alljährlich wechselnden Eingangsgebäudes. Es wird oft als Treffpunkt vereinbart. Allerdings wird man sich dort kaum treffen, da es so gewaltig ist.

 Dienstag, Mittwoch, Donnerstag sind die Tage der Reichen und Schönen, besonders chic und elegant. Zum Wochenende marschiert halb Andalusien an - etwa eine Million Besucher am Samstag. Dann ziehen sich viele Sevillaner schon ermattet ins traute Heim oder an den Strand zurück. Jeden Tag ab Mittag beginnt der Betrieb mit der Pferdeparade (deren Höhepunkt gegen 17-18 und Schluß um 20 Uhr ist), den Empfängen in den casetas, ersten Tänzen. Er flaut um 18 Uhr etwas ab, wenn viele aficionados zu den Stierkämpfen in der Maestranza pilgern, der zweitältesten Arena des Landes nach der in Ronda. Um 21 Uhr gehen die Lichter an und die wildesten Stunden beginnen. Der "Sherry" (von den Engländern verballhorntes "Jerez" nach der alten maurischen Grenzstandt Jerez de la Frontera) fließt in Strömen. Wer den Kampf gegen ihn zu verlieren droht, wird in den casetas immer wieder mit tapas zum Leben erweckt. Tapas sind im Spanischen ursprünglich "Deckel", die früher zum Abhalten der Fliegen auf das gefüllte Weinglas gelegt wurden, etwa eine Scheibe Brot, Käse, Schinken. In der Feria sind es erlesenere Delikatessen wie "pescaíto frito", also Fisch, luftgetrockneter Serrano-Schinken, Mini-Steaks, Käsehäppchen und ähnliche Köstlichkeiten. Komatösen Fällen wird gegen Mitternacht heiße Brühe mit Minzekraut, "caldito de la Feria con yerbabuena", morgens auch Erbsensuppe zur Wiederbelebung gereicht. Zudem trinken habitués zwischendurch eine Mischung von Wein und Sinalco oder 7up mit viel Eis. Honni soit qui mal y pense! Wegen all dem sieht man kaum einen Betrunkenen.


Ein Foto der Semana Santa in Sevilla. Das Mitglied einer confradía, einer der Stadtteil-Bruderschaften, in seiner typischen Vermummung der Prozessionsteilnehmer, die später der Ku-Klux-Klan für seine Kostümierung übernahm. Dabei wandelte sich allerdings die Motivierung von "Gleichheit vor Gott" in "Unkenntlichkeit für Rächer". Immer wieder gilt meine Empfehlung für die Feria von Sevilla eine Woche nach Ostern.

 

 Morgens so um 8-9 Uhr weigern sich noch viele Tänzer zu glauben, daß die Nacht vorbei ist, obwohl es längst hell ist. Erst der Einzug der Reinigungsbrigaden gegen zehn überzeugt sie von der traurigen Wahrheit. Dann trösten sie sich zum Frühstück mit chocolate con churros (Kakao mit einzustippenden, leicht salzigen Teichstangen - oh Wonne!) oder buñuelos bei den "buñoleras", Zigeunerinnen, die in Feria-Laune zur Aufmunterung ihrer Gäste auch schon mal einen feurigen Flamenco mit viel Händeklatschen zelebrieren. Später gibt’s dann "moros y cristianos", also Mauren und Christen, schwarze Bohnen mit weißem Reis. Singen und Tanzen in den casetas währen bis zur letzten, wirklich der allerletzten Minute vor Mitternacht am Sonntag, wenn das eindrucksvolle Feuerwerk über dem großen Fluß entzündet wird. "Aaah!" "Oooh!" "Qué liiindo!"

 Noch ist die Feria eine fast rein spanische Angelegenheit. Die Seltenheit ausländischer Besucher und die herzliche Gastfreundschaft der Andalusier bringen es mit sich, daß Sie - wenn Sie nicht gerade ein gar zu abweisendes Gesicht machen - oft zu einem Glas Manzanilla vor der caseta, manchmal zu einem Plausch mit tapas ins Zelt, gelegentlich zu einem Tanz eingeladen werden. Dabei tut man sich als Mann leichter, da man nur die Füße ein wenig im Rythmus bewegen mag.

 Die Damen mit ihren komplexen Schritten und Armbewegungen sind so tanzfreudig, daß vielfach zwei Frauen zusammen tanzen. Das ist besonders bezaubernd,  wenn  Muttis
ihre sechsjährigen zukünftigen Herzensbrecherinnen unterweisen, die schon - naja, fast - so gut tanzen wie die Mama, jedenfalls ebenso begeistert und unersättlich. Natürlich würde kein vernünftiger Mensch versuchen, an einem Abend Sevillana zu lernen. Aber wer ist in der Feria schon vernünftig?

 Und wenn Sie nicht ständig in privaten casetas eingeladen sind? Dann können Sie immer noch ohne Einladung Ihre Heimat in über einem Dutzend öffentlichen Zelten finden, z. B. denen der Stadtteile. Dort gibt es auch Wein und Speisen zu zivilen Preisen. Besonders feurige Musik finden Sie beim "Distrito Triana", "Dto. Casco Antiguo" und "Dto. Macarena", allerdings vom Tonband. Für Kapellen gäbe es hier auch gar keinen Platz - bis zu 10.000 Besucher tanzen hier an einem Tag. Nichts für Klaustrophobe!

 Wenn Sie sich vom Tanzen oder dabei Zuschauen erholen wollen, können Sie die angrenzende "Inferno-Straße", den Jahrmarkt mit zwei Riesenrädern, "Höllenzügen", coches locos, gigantischer "Wikinger-Schiffschaukel", einem Zirkus und Zoo abgrasen, ganz zu schweigen von den Sehenswürdigkeiten in der leergefegten Stadt. Dazu gehört eine der größten und prächtigsten Kathedralen der Christenheit mit der "Giralda", dem maurischen Minarett, heute Glockenturm mit Blick über ganz Sevilla. Das charmante Altstadtviertel Santa Cruz hat ein-Meter-enge Gäßchen und viele malerische Innenhöfe im Duft der Orangenblüten. Der Alcazar ist ein weitläufiges Schloß im Mudéjar-Stil, also dem Mischstil der spanischen Bauherren und ihrer nach der Reconquista im Land gebliebenen maurischen Arbeiter, gelegentlich verziert mit einem dezent im Arabeskenmuster versteckten Davidstern, da Juden die Finanziers waren. Die Plaza de España, ein Pavillion der Ibero-Amerikanischen Ausstellung von 1929, zeigt besonders schöne Kacheln - ein Erbe der Mauren, das von römischen Mosaiken inspiriert war. Lediglich das Gelände der Expo 92 ist leider zu einem wenig interessanten, überteuerten Vergnügungspark degeneriert, der sogenannten "Isla Mágica". Die Schiffsrundfahrt mit halbstündlicher Abfahrt vom maurischen "Goldenen Turm", zeigt die Schönheit der Stadt vom Fluß aus.

 In 40 Minuten bringt Sie der Hochgeschwindigkeitszug AVE auf eigener schmalgleisiger Trasse oder der Aluminium-Talgo nach Cordoba zur "Mesquita", der Moschee mit später eingebauter Kathedrale, und dem verwinkelten alten Judenviertel Judaría. Eine Flußfahrt führt zur Mündung des Guadalquivir bei Sanlúcar. Statt der Bergfahrt zurück können Sie dann besser und schneller den Bus nehmen. Bei mehr Zeit lockt Sie vielleicht auch Granada mit seiner stilrein maurischen Alhambra, als UNESCO-Weltkulturerbe geadelt, den Wasserspielen der Generalife-Gärten und den Zigeunerhöhlen auf dem Sacro Monte. Auch hier Flamenco à gogo.

 Wenn Sie dann zu Ihren neuen Freunden in eine caseta zurückkehren wollen, denken Sie daran, daß - wie im wahren Leben - die Hausnummern in jeder der nach berühmten Stierkämpfern benannten Straßen neu beginnen. Und vergessen Sie nicht, daß casetas keine öffentlichen Bars oder Pubs, sondern Privatgemächer sind, in denen man nicht automatisch zur stets erneuten Einkehr und ewigem Verzehr eingeladen ist. Auch hier hat Ortega recht: "Man muß aufhören, sich essen zu lassen, solange man am besten schmeckt. Das ist das Geheimnis derer, die lange geliebt worden sind."

Tips for trips:

Ein bis zwei Tage Semana Santa in Sevilla, eine Woche Rundreise durch Andalusien (oder die angrenzende Algarve mit Sagres), evtl. Strand an der Costa del Sol, dann wieder Sevilla mit Feria wären ein sehr reizvolles österliches Programm.

Auskünfte erteilen die Spanischen Fremdenverkehrsämter in:
10707 Berlin, Kurfürstendamm 180, Tel. 030-8826543, E-mail: berlin@tourspain.es,
60323 Frankfurt/M, Myliusstr. 14, 069-725033;
80051 München, Pf. 151940, 089-530158;
1010 Wien, Walfischgasse 8, 01-5129580;
8008 Zürich, Seefeldstr. 19, 01-2527931.

Iberia verbindet mehrmals in der Woche Berlin, Düsseldorf, Frankfurt/M, Hamburg, Stuttgart, München, Wien und Zürich mit Sevilla. Hin- und Rückflug kosten ab ca. 440 DM je nach Datum.

Hotelbuchungen ein Jahr vorab für die nächste Feria oder - je nach Hotel - ab Januar. Wenn Sie ohne Reservierung aufbrechen und nicht Ihre Tage und Nächte in der Feria durchtanzen wollen, können Sie im Flugzeug einen Zettel auf den Weg schicken: "Bitte weiterreichen! Deutsche(r) Tourist(in), der die Feria von Sevilla besucht und keine Reservierung hat, sucht Zimmer in Hotel, Pension, Privathaus. Wer kann helfen? Ihr Name, Sitz-Nummer." ("Haga pasar, por favór! Turista alemán(a), visitando la Feria de Sevilla y no teniendo reservación, busca habitación en hotel, pension, hostal, casa privada. Quien puede ayudar? X, asiento 2F"). Bei mir kamen schon bald Bingos aus der 13. und 19. Reihe. Auto am Flughafen, geschmackvolles, ruhiges, blitzblankes Privatzimmer mit Frühstück, Familienanschluß und Bibliothek. Sogar meine Sitznachbarn mit Unterkunftsproblemen konnte ich mit einem Zimmer beglücken.

Iberia verbindet mehrmals in der Woche Berlin, Düsseldorf, Frankfurt/M, Hamburg, Stuttgart, München, Wien und Zürich mit Sevilla. Hin- und Rückflug kosten ab ca. 125 € je nach Datum. Hapag-Lloyd fliegt von Köln-Bonn ab ca. 40 €.


Dieser Artikel erschien in "abenteuer & reisen" und DIE WELT. Wenn er Ihnen gefallen hat, schauen Sie vielleicht auch einmal in eins meiner Bücher hinein.
Z. B.:


"Eine Prise China. Schnupftabakflaschen – Spiegel der chinesischen Seele", eine kleine kulturgeschichtliche Plauderei über das Reich der Mitte und auch über ein faszinierendes Sammelgebiet, Deutsch und Englisch in einem Band mit vielen schönen Sammlerphotos (Verlag Böhlau, Wien).
Europublic meinte dazu: "... es ist ein Buch für jeden – will sagen, jeden, der sich für Kulturen interessiert. Es ist präzise, mit Liebe und Humor geschrieben und hat den großen Vorzug, sowohl faszinierend als auch informativ zu sein. - ... wunderbar gestaltet..."
"...Der Verfasser unternimmt einen Streifzug durch die chinesische Kulturgeschichte... offeriert einen tiefen Einblick in die chinesische Denkweise und versteht es, den Leser für die chinesische Kultur zu begeistern. Zahlreiche kleine Anekdoten sowie schöne Photos runden das Werk ab...," fand Freies Asien.

Foto: Li Ping, Beijing

1001 Dank für Ihre Geduld beim Lesen,

Ihr
Klaus G. Müller, 2002




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